„Der Atlantik kann rau sein.“ Mit diesen Worten wurde unsere Freundin, die uns mit ihrem segelbegeisterten, zehnjährigen Sohn für ein paar Tage an Bord besucht, von ihrem alten Herrn in den Urlaub verabschiedet. Sie ist also darauf gefasst, dass der Segeltörn mit uns auch anstrengende Seiten haben kann. Unsere beiden Gäste kommen am Abend des 20. Mai in St. Malo am Hafen an. Obwohl sie eine lange Zugfahrt hinter sich haben, ist die Stimmung sofort herzlich und entspannt. Vom ersten Moment gibt es für die beiden eine Menge zu entdecken. Nicht nur unser Boot und ihre Kabine begeistern sie, auch unsere Stegnachbarn sind hoch interessant: In zwei Tagen startet hier eine Regatta der „Ocean Fifty Series“, und wir liegen mit der St‘ Raphaël am gleichen Steg wie die riesigen Trimarane dieser Klasse.
Beim abendlichen Rundgang durch St. Malo sehen wir von der hohen Stadtmauer aus bei kräftigem Wind auf die aufgewühlte See. Doch wir haben beruhigende Nachrichten für unsere Freundin: Für den nächsten Tag ist deutlich weniger Wind vorhergesagt. Und die Nordbretagne liegt gar nicht am Atlantik, sondern am Ärmelkanal.
Gleich unser erster gemeinsamer Segeltag beginnt früh, denn bevor es losgeht steht erstmal eine Sicherheitseinweisung für unsere Mitsegler an. Danach gibt es eine Überraschung für unsere neuen Crewmitglieder an: Wir haben Crew-Shirts anfertigen lassen, die den beiden nun feierlich überreicht werden. Die Freunde ist groß, und nun kann es losgehen.
Wir kreuzen bei leichtem Wind um das Cap Fréhel, dann geht es unter Motor weiter, um nicht zu spät anzukommen. Ziel Tagesziel ist Dahouet, eine kleine Marina mit einer engen, trockenfallenden Zufahrt. Mit über 30 Seemeilen hat dieser erste Segeltag bereits ein volles Programm. Unsere beiden Crewmitglieder sind die ganze Zeit voll bei der Sache und packen bei allen Manövern tatkräftig mit an. Als der Wind flau wird und wir eine Weile motoren müssen, versuchen wir (vergeblich) unser Glück beim Angeln und schnippeln dann gemeinsam das Gemüse für das Abendessen, so dass keine Langeweile aufkommt. Es ist eine tolle Stimmung an Bord. Der Sohn unserer Freundin erstaunt und begeistert uns mit seinem Wissbegier, seiner Auffassungsgabe und seinem Durchhaltevermögen. Es ist eine Freunde für uns, ihn ins Segeln mit unserem Schiff einzuführen und seine vielen Fragen zu beantworten.
Am nächsten Morgen geht es wieder früh los, denn die Tide diktiert in diesem Revier den Zeitplan. Das hatten wir unserer kleinen Gästecrew vorher angekündigt und daher ist niemand enttäuscht. Im sanften Morgenlicht verlassen wir den Hafen durch die enge Ausfahrt. Nach dem Setzen der Segel gibt es dann frische Croissants zum Frühstück. Bei schönem Segelwind von drei bis vier Beaufort kreuzen wir zur Île de Bréhat. Dann geht es unter Motor weiter in den Flusslauf des Trieux, wo wir mit Blick auf die vielen Austernbänke bei Lézardrieux an einer Boje festmachen. Durch den frühen Start haben wir noch Zeit, um an Land zu fahren und bei einem Spaziergang den kleinen Ort zu erkunden. Und da das Dinghy mit vier Personen deutlich langsamer ist als zu zweit, unternimmt Marc allein mit unserem jüngsten Crewmitglied nach dem Landgang eine flotte Spritztour und bringt ihm das Motorbootfahren bei.
Auch am nächsten Tag wird unser Angebot, dass Karin und Marc morgens alleine ablegen und der Rest der Crew ausschlafen kann, abgelehnt. Man könnte ja etwas verpassen! Nachdem wir nach der Ausfahrt aus der Flussmündung die Segel gesetzt haben, sehen wir einen Delphin in einiger Entfernung. Wieder müssen wir kreuzen, haben kurzzeitig Schauerböen bis fünf Beaufort, reffen das Großsegel ein und aus. So ist auch dieser Tag wieder voll gefüllt mit Eindrücken vom Segeln und von der herben Schönheit der Nordbretagne. Unser Zielhafen ist Perros-Guirec, der nur bei Hochwasser über ein enges Tor angefahren werden kann. Als wir am frühen Nachmittag bei Niedrigwasser dort ankommen, müssen wir daher erst für einige Stunden an einer Warteboje vor dem Hafen festmachen – und legen dann alle einen ausgiebigen Mittagschlaf ein. Nach dem frühen Aufstehen und dem straffen Programm der letzten drei Tage mit 100 zurückgelegten Seemeilen können wir alle den Schlaf brauchen.
Da für den letzten gemeinsamen Tag Flaute angesagt ist, machen wir einen Hafentag und nutzen die Gelegenheit für einen Ausflug auf dem Zöllnerpfad der Côte de granit rose. Es ist ein wunderschöner Küstenabschnitt mit charakteristischen Felsformationen aus rosafarbenem Granit und eine schöne Wanderung nach Ploumanac’h, wo wir gemeinsam zu Crepes und Galette einkehren.
Die erste Segeltour zu viert an Bord war für uns alle ein wunderbares Erlebnis. Auch für uns fühlte es sich eher wie ein Urlaubstörn an als Bordalltag. Während unsere Freundin mit ihrem Sohn nun voll von Eindrücken und neuem Segelwissen – er hat den halben Stoff des Sportküstenschifferscheins in sich aufgesaugt und nun auch seine erste Seemeilenbestätigung – wieder nach hause fahren, geht es für uns weiter nach Westen. Denn in einer Woche haben sich schon die nächsten Freunde für eine gemeinsame Segelwoche in der in der Südbretagne angekündigt.