Auf der Etappe am 1. Juli von der Ría Arousa in die Ría de Pontevedra wird die Strecke nun erstmals durch ein Thema bestimmt, mit dem wir uns schon seit Monaten beschäftigen: Den Orca-Attacken. In den letzten drei Jahren wurden vor allem in der Straße von Gibraltar, aber auch an der iberischen Atlantikküste und sogar in der Biskaya und der Bretagne Hunderte Boote, vor allem Segelboote, von Schwertwalen angegriffen und auch schon mehrere Boote durch Wassereinbruch versenkt.
Um über die Orte von Orca-Sichtungen und Attacken aktuell informiert zu sein, bin ich in einer Chatgruppe von orcas.pt angemeldet und habe außerdem zwei App auf dem Smartphone. Schon seit der Südbretagne beobachten wir, wo es Sichtungen und Attacken von Orcas gibt, doch bisher war unsere Route nie betroffen. Vor etwa einer Woche wurde dann aber einen Angriff von Orcas direkt vor der Ría Arousa gemeldet, seitdem gab es keinen Vorfall mehr in diesem Küstenabschnitt.
Wobei „Angriff“ oder „Attacke“ eigentlich die falschen Begriffe sind, denn es setzt sich unter vielen Theorien zur Ursache nun allmählich die Ansicht durch, dass die neugierigen und intelligenten Tiere lediglich mit dem Boot spielen wollen, nachdem sie einmal gelernt haben, dass man so ein Boot durch Drehen, Dagegenschlagen und Bisse am Ruder zu einer Reaktion bringen kann. Biologen sprechen daher neutral von einer Interaktion mit den Booten. Doch auch, wenn die Orcas nur spielen wollen, und trotz unseres robusten Stahlschiffs möchten wir so eine Begegnung nach Möglichkeit vermeiden.
Die Strecke von der Ausfahrt aus der Ría Arousa bis zur Einfahrt in die Ría de Pontevedra legen wir daher entsprechend den Empfehlungen portugiesischer Forscher trotz schönem Segelwind unter Motor zurück und halten uns auf 20 bis 30 Metern Wassertiefe sehr nahe entlang der Küste. Außerdem sind wir aufmerksam von Hand steuernd unterwegs und haben unseren Wal-Pal bereit gelegt, eine Boje, die unter Wasser hinter dem Boot her gezogen akustische Signale zum Vertreiben von Orcas abgibt. Die heutige Etappe verläuft zum Glück völlig problemlos. Als wir die Ría de Pontevedra erreichen und auf unter 20 Meters Wassertiefe sind, setzen wir auch wieder die Segel. Da in den nächsten Tagen Starkwindböen aus Nordost angesagt sind, suchen wir im nordöstlichen Teil der Ría Schutz suchen und ankern vor der Hafenmole von Combarro. Von hier aus können wir mit dem Dinghy in den nächsten Tagen ein paar schöne Ausflüge machen.
Schon bei unserer Ankunft am Ankerplatz sehen wir eine Gruppe Delphine in der Nähe, und auch in den nächsten Tagen werden wir sie regelmäßig hier sein. Es ist schon erstaunlich: Einerseits ist es ein schönes Erlebnis, Delphine und andere Wale in der Nähe des Bootes zu sehen. Andererseits führen einem die Interaktionen der Orcas vor Augen, dass es eben doch wilde Tiere sind. Sind sie uns weder freundlich noch feindlich gesinnt, sondern sie verhalten sich einfach entsprechend ihrer eigenen Art, wenn sich unsere Wege zufällig mit ihren kreuzen. Das verursacht mir beim Baden am Ankerplatz ein mulmiges Gefühl, wenn wir kurz vorher Delphine in der Bucht gesehen haben, auch wenn Marc dann nur scherzend bemerkt, dass andere Leute für das Schwimmen mit Delphinen viel Geld bezahlen.
Von unserem Ankerplatz in den Flusslauf des Río Lérez bis nach Pontevedra ist es eine Strecke von immerhin sechs Meilen, auf der unser flottes Dinghy mal wieder seine Vorzüge zeigt. Etwa genau so lang wie die Fahrt dorthin dauert es dann im Hafen von Pontevedra, wir dürfen anlegen, müssen aber auch für den kurzen Aufenthalt von ein paar Stunden das komplette Formular zum Einchecken ausfüllen. Der Hinweis, dass wir ja nur mit unserem Beiboot unterwegs seien, wird zwar verstanden, ändert aber nichts.
Pontevedra hat eine beeindruckend große und sehr schöne Altstadt mit vielen Kirchen und pittoresken Plätzen. Wir machen einen ausführlichen und entspannten Bummel, besuchen die Basilica und trinken an einem der schönen Plätze einen Kaffee.
Als wir uns mit unserem Dinghy auf dem Rückweg dem Hafen von Combarro nähern, sehen wir unsere Freunde Jutta und Gregor dort auf ihrem Boot. Wir haben uns in A Coruña kennen gelernt und in den Rias seither mehrfach getroffen (siehe Hafentage in A Coruña und Eine Menge Muscheln). Und kurz darauf sitzen wir bei ihnen im Cockpit beim Kaffee, plaudern und verabreden uns zum Tapas-Abend in Combarro.
Auf der Suche nach einem schönen Lokal erkunden wir die malerische Altstadt von Combarro. Sie ist gekennzeichnet von vielen engen, gewundenen Gässchen, die teilweise über blanken Fels verlaufen, alten Getreidespeichern und kleinen Plätzen mit Steinkreuzen. Es wird ein wunderschöner Abend auf einer an der Bucht gelegenen Terrasse und mit sehr leckerem Essen, und wir alle vier teilen unsere Freude darüber, dass es uns so gut geht.
Nach drei Tagen in Combarro geht es weiter in die Ría de Vigo. Eigentlich wollten wir noch die Islas Cíes besuchen, aber wir haben trotz Nachfrage noch immer keine Befahrerlaubnis für die Inseln des Nationalparks erhalten. Auch die Idee, von Cangas aus mit einem Ausflugsboot auf die Insel zu fahren, klappt leider nicht, denn die Plätze sind weit im Voraus ausgebucht.
Wir suchen uns in der Ankerbucht westlich von Cangas ein schönes Plätzchen, um hier ein paar sonnig warme Tage zu verbringen, und bauen nun auch erstmals uns großes Sonnendach auf. Auch Jutta und Gregor kommen mit ihrem Boot in die Ankerbucht und bleiben gleich neben uns. Das Viertelfinalspiel Deutschland gegen Spanien der Fussball-Europameisterschaft schauen wir gemeinsam bei uns im Cockpit an, doch leider haben am Ende die spanischen Boote um uns herum mehr Grund zum Jubeln. Deutschland ist ausgeschieden.
Natürlich genießen wir das ruhige Bordleben in der Ankerbucht, doch ganz faul sind wir dabei nicht: Unsere Rückreise nach Deutschland steht bald bevor, und so beschäftigen wir uns mit Reiseplanung und allerlei Bestellungen. Außerdem erledigen wir unsere Steuererklärung, denn das muss halt auch mal sein.
Am 6. Juli heißt es schließlich für eine Weile Abschied nehmen vom entspannten Leben vor Anker. Nach einer regnerischen Nacht und einem Regenbogen am Morgen geht es weiter nach Baiona, unserem Absprungort für die lange Tagesetappe nach Porto. Da in Baiona der städtische Hafen voll ist, bleiben wir im ziemlich teuren Yachtclub unterhalb des großen Castelo de Monterreal. Baiona ist ein mondäner Urlaubsort und durchaus einen Besuch wert. Wir umwandern die Burg, besuchen den Nachbau der Pinta, des Schiffes, das die Nachricht von Kolumbus‘ Entdeckung Amerikas nach Europa brachte, und das Schifffahrtsmuseum.
Am nächsten Morgen machen wir uns dann früh auf den Weg. Bei ruhigem Wetter legen wir die 65 Seemeilen bis zur Marina Leixões im Norden Portos zurück, wieder unter Motor, küstennah und ohne Autopilot. Orcas sehen wir auch diesmal zum Glück nicht, dafür werden wir kurz vor der Ankunft im Hafen bei tiefblauem Wasser wieder von Delphinen begleitet.
Die drei Tage bis zur Abreise verbringen wir mit Instandhaltungsarbeiten am Boot, Packen und der Vorbereitung des Bootes für unsere Abwesenheit. Das Wetter lädt ohnehin nicht zu touristischen Aktivitäten ein: Einen Tag regnet es, sonst ist es grau und der berüchtigte dicke Nebel liegt über dem Wasser.
Unsere weitere Route soll nach Madeira führen. Aber vorher steht erstmal ein Heimatbesuch an, auf den wir uns nun auch freuen.