Am 6. Dezember legen wir morgens im Hafen von San Sebastián de La Gomera ab, um zu den Kapverdischen Inseln zu segeln. Wir haben schöne Wochen auf den Kanaren verbracht, doch nun sind wir auch froh, dass es weitergeht. Und wir sind gespannt auf die Kapverden, die unser erstes wirklich exotisches Ziel der Reise sind. Es geht nach Afrika! Wir rechnen mit etwa sechs Tagen Überfahrt und laut Wettervorhersage zumeist mit vier bis fünf Windstärken aus Ost-Nordost, also schräg von hinten.
Wir motoren aus dem Windschatten von La Gomera, dann setzen wir das Großsegel im ersten Reff. Der Tag ist ziemlich trüb, doch die Silhouette des Teide auf Teneriffa begleitet uns noch eine Weile – auf Wiedersehen, Kanaren!
Bevor es abends dunkel wird, gehen wir mit dem Großsegel vorsorglich ins zweite Reff. Mit unserer großen Rollgenua und dem Klüver können wir so die Segelfläche auch bei kräftigem Wind flexibel aus dem Cockpit anpassen.
Die erste Nacht geht es weiter wie am Tag, und im Wesentlichen ändert sich daran auch die ganze weitere Überfahrt nichts: Wir haben in der Regel fünf Windstärken, manchmal nur vier, manchmal aber auch sechs, mit entsprechendem Seegang schräg von hinten. Diese Windbedingungen sind für die St‘ Raphaël ideal, und wir kommen schnell voran. Der erste Etmal, also die in 24 Stunden zurückgelegte Strecke, beträgt 161 Seemeilen (knapp 300 km) und ist damit für uns Rekord.
Der Alltag an Bord ist jedoch vor allem in den ersten zwei Tagen mühsam. Immer muss man sich irgendwo festhalten und jede Aktivität ist anstrengend. Es dauert zwei Tage, bis wir uns an die Schiffsbewegungen und den Tagesrhythmus an Bord gewöhnt haben. Dann hört bei mir auch das flaue Gefühl auf, dass mich bis dahin trotz prophylaktischer Medikamente gegen Seekrankheit gelegentlich überkommen hat.
Die Nächte sind lang um diese Jahreszeit, es ist deutlich mehr als zwölf Stunden dunkel. Doch dadurch schaffen wir es, auch die Abend- und Morgenstunden zum Schlafen zu nutzen, so dass wir trotz des 3-stündigen Wachwechsels beide ausreichend Schlaf bekommen. Es ist sehr wenig Schiffsverkehr und die Nachtwachen verlaufen ruhig. Nur fliegende Fische landen nachts mehrfach auf dem Boot, was wir jedoch meist erst am nächsten Tag entdecken. Nur Marc hört eines Nachts einen fliegenden Fisch an Deck zappeln, doch der Rettungsversuch kommt auch für ihn zu spät.
Am dritten Tag werfe ich die Angel aus, und habe auch ziemlich schnell Glück: Ein Mahi Mahi, auch Goldmakrele genannt, beißt an. Es ist ein stattliches Exemplar und für mich definitiv der größte Fisch, den ich je aus dem Wasser gezogen habe. Und er schmeckt, wie wir feststellen, ganz hervorragend.
Auch wenn sich am dritten Tag die Sonne etwas mehr zeigt, der Himmel ist während der Überfahrt meist bedeckt. Unsere neuen Solarpaneele liefern dann zwar immer noch Strom, doch insgesamt zu wenig, um zusätzlich zu Kühlschrank und Navigationsinstrumenten auch den Autopilot permanent zu versorgen. Wir lassen daher abends für etwa eine Stunde den Motor laufen, um die Batterien für die Nacht zu füllen.
Der dritte Tag verabschiedet sich mit einem schönen Abendrot. Wir haben nun mehr als die Hälfte der Strecke hinter uns und sind sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Überfahrt.
In der Nacht zum vierten Tag gibt es nachts um drei Uhr dann plötzlich ein seltsames lautes Knarzen. Marc hat mich gerade zum Wachwechsel geweckt, und wir beide sind kurz darauf alarmiert an Deck und leuchten das Rigg ab. Dann findet Marc eine Mutter an Deck und erkennt kurz darauf das Problem: Am Lümmelbeschlag, der Baum und Mast verbindet, hat sich die Schraube gelöst, die den Verbindungsbolzen fixiert. Und dieser Bolzen ist nun an einer Seite herausgerutscht. Wir bergen das Großsegel, was uns auch ganz gut auf dem aktuellen Raumschotskurs gelingt. Doch es gelingt uns nicht, den schräg im Beschlag sitzenden Bolzen wieder in seine ursprüngliche Position zu drücken, dazu haben Baum und Segel zu viel Gewicht, und die Bootsbewegungen machen es auch nicht leichter. Außerdem stellen wir fest, dass das Knarzen, was uns alarmiert hat, noch immer zu hören ist. Es kommt offenbar von den seitlichen Wanten auf der Steuerbordseite. Eine Beschädigung können wir jedoch nicht entdecken. Inzwischen ist es nach vier Uhr nachts und Marc hundemüde. Wir beschließen, auch die Genua zu bergen, die Nacht unter Motor weiter zu fahren und uns das Rigg bei Tageslicht nochmal in Ruhe anzusehen.
Am nächsten Tag machen wir uns auf die Suche nach dem Ursprung des Knarzens. Doch eine Beschädigung im Rigg können wir nicht entdecken, auch nicht mit dem Fernglas. Schließlich stellen wir fest, dass Bewegung von Ober- oder Mittelwant auf der Steuerbordseite zu dem Knarzen führen, und dass die beiden Wanten an der Salingnock sehr eng beisammenliegen, während sie auf der Backbordseite ein wenig Abstand voreinander haben. Als Marc das Oberwant nach vorne und das Mittelwant nach hinten zieht, hört das Knarzen auf. Es wurde offenbar einfach von der Reibung der Wanten aneinander verursacht.
Nun machen wir daran, den Lümmelbeschlag zu reparieren. Wir versuchen, den Baum mit Hilfe der Dirk auf die passende Neigung zu bringen und dann den Bolzen in Position zu drücken, doch dabei rutscht er komplett heraus. Schließlich fixieren wir den Baum mit seitlichen Seilen vorne und hinten genau in der Schiffsmitte, und stellen dann mit Dirk und Baumniederholer seine Höhe und Neigung genau so ein, dass wir den Bolzen wieder durchstecken können. Zum Glück ist keines der Einzelteile über Bord gegangen, alle Kunststoffhülsen, in denen der Bolzen geführt ist, und auch die Mutter sind noch da. Geschafft! Und damit sich die Mutter nicht wieder lockert, kleben wir sie mit Loctide ein.
Nun können wir guten Gewissens die Segel wieder setzen. Als wir den Motor wieder ausmachen, sind wir erleichert und stolz, die Situation gemeistert und das Problem alleine behoben zu haben. Gut gelaunt geht es weiter.
Am Morgen des fünften Tages ist Land in Sicht: Kurz nach einem wunderschönen Sonnenaufgang kann man am Horizont einen Vulkankegel erkennen. Allmählich schälen sich immer mehr die Umrisse der Kapverdeninsel Sal aus dem Dunst, und schon bald können wir unser Ziel, die Ankerbucht vor Palmeira ausmachen. Unsere Freude ist groß.
Gegen Mittag erreichen wir Palmeira, nach fünf Tagen und 772 Seemeilen (etwa 1.400 km).
Wir werfen den Anker und freuen uns eigentlich auf gemütliche Stunden im Cockpit nach der Ankunft, doch so schnell geht das nicht. Die Ankerkette rutscht durch die Kettennuss, lässt sich nur mit der Kettenbremse stoppen und auch nicht wieder aufholen. So ein Mist! Unsere Ankerwinsch ist bekanntermaßen eine Diva, und die Wartung auf La Gomera hat offenbar dazu geführt, dass die Kupplung, die die Kettennuss fixiert, sich gelöst hat. Statt einem entspannten Genießen der Ankunft heisst es also erst einmal, die Ankerwinsch auseinander bauen und die Schraube zur Fixierung neu anzubringen. Das alles ist langwierig, dreckig und nervig. Und als unsere Ankerwinsch endlich wieder tut wie sie soll und wir den Anker richtig ausbringen wollen, stellen wir fest, das sich die Kette in einer Mooring verhakt hat. Mit Glück bekommen wir sie frei, indem wir die Kette wieder etwas ablassen und den Anker überfahren. Wir sind gottfroh, als der Anker endlich richtig liegt, eingefahren und die Ankerkralle angebracht ist. Nun sind wir endlich angekommen.