Rumcocktails an Heiligabend

Am 17. Dezember holen wir schon um kurz nach drei Uhr morgens unseren Anker auf und brechen von Sal Rei vor der Kapverdeninsel Boa Vista auf nach Tarrafal auf São Nicolau. Die Strecke beträgt 90 Seemeilen, und wir wollen noch sicher bei Tageslicht ankommen. Der Tag ist drückend schwül, doch immerhin herrschen mit vier Beaufort bei halbem Wind ideale Segelbedingungen, so dass wir schon am frühen Abend in Tarrafal ankommen.

Wir haben gelesen, dass es im Ankerfeld vor dem Hafen heftige Fallböen geben soll, die quer zur vorherrschenden Windrichtung von den steil aufragenden Bergen herunter pfeifen. Daher rufen wir bei Thomas an, einem Deutschen, der hier lebt und angeblich Bojen für Besucher ausgelegt hat. Er sagt uns, dass er die Besucherbojen abgebaut habe, bietet uns aber die Boje seines eigenen Bootes an, und kommt auch gleich mit dem Beiboot angefahren, um sie frei zu machen. Zufrieden machen wir an der Boje fest. Bei einem kurzen Plausch erfahren wir, dass er seit diesem Jahr eine Fischereilizenz hat und in zwei Tagen wieder zum Fischen raus fährt. Als er uns fragt, ob wir Interesse an Fisch von seinem nächsten Fang hätten, bejahen wir.

Am nächsten Tag fahren wir mit dem Dinghy in den Hafen von Tarrafal. Auch hier gibt es jemand, der etwas aufdringlich seine „Services“ anbietet, doch wir wimmeln ihn freundlich ab. Da der Ort nur wenig touristisch ist, bleiben wir ansonsten aber unbehelligt von aufdringlichen Angeboten. Die Suche nach der Polizeistation, wo wir uns als Bootscrew anmelden müssen, ist im Grunde schon ein Spaziergang durch die wesentliche Teile des belebten Ortes.

Unser persönliches Highlight des Ortes ist die Weihnachtsdeko vor der Hafenbucht: Dort steht ein Weihnachtsbaum aus gelben Plastikkanistern, der abends von innen beleuchtet wird, ein überdimensionaler Weihnachtsmann mit einem Haufen Geschenke und eine lebensgroße Krippe mit Figuren aus Pappe. Was für ein Ensemble!

Im Gegensatz zu den beiden trockenen und überwiegend flachen Kapverdeninseln Sal und Boa Vista, die wir zuvor besucht haben (siehe Beitrag No Stress), ist São Nicolau bergig und grüner, zumindest in der höher gelegenen Inselmitte. Dort haben wir für heute eine Wanderung in den Naturpark Monte Gordo geplant. Zum Startpunkt der Tour, dem Dorf Cachaço, wollen wir mit dem Aluguer kommen, einem der Kleinbusse, die als Sammeltaxi dienen und losfahren, wenn sie voll sind. Wir fragen uns zum richtigen Aluguer durch und sind nach einer ausführlichen Runde kreuz und quer durch den Ort, bei der weitere Passagiere eingesammelt werden, auf dem Weg in die Berge. Je höher wir kommen, desto grüner wird die Landschaft, und als wir über die Passhöhe kurz vor Cachaço kommen, öffnet sich ein breites, landwirtschaftlich genutztes Tal.

Die Wanderung in den Naturpark führt erst steil hinauf, und wir schwitzen in der Hitze. Doch sie ist die Mühe wert, denn sie zeigt uns erstmals ein ganz anderes Landschaftsbild der Kapverden: Üppig bewachsene Berghänge mit viel ursprünglicher Vegetation, spitze Felsformationen und im dichten Gebüsch Perlhühner, von denen wir unterwegs mehrere Gruppen aufscheuchen. Nur leider ist die Sicht nicht gut, denn schon seit Tagen herrscht Calima, eine Wetterlage, bei der die Luft voller Saharastaub ist.

Als wir am frühen Abend zum Boot zurück kommen, ruft Thomas an. Er sei gerade auf dem Rückweg von seiner Angeltour und habe einen kleinen Thunfisch für uns gefangen. Ob wir den haben wollen? Da sagen wir gerne zu und bekommen wenig später per Bootshaken eine ziemlich schwere Plastiktüte mit zwei Thunfischhälften übergeben. Es ist reichlich Fisch für zwei Abende, und es werden zwei Festessen mit dem leckersten Thunfisch, den wir je gegessen haben.

Am nächsten Tag ist die Calima besonders ausgeprägt. Es sieht trüb aus wie in Deutschland im November, ist dabei aber trocken und warm. Nach den vielen intensiven Eindrücken der letzten Tage beschließen wir, den Tag an Bord mit faulenzen, lesen und baden zu verbringen.

Unsere zweite Wanderung auf São Nicolau beginnt ebenfalls in Cachaço und führt durch ein von Landwirtschaft geprägtes Tal, um ein Bergmassiv und über einen Pass in die Inselhauptstadt Ribeira Brava.

Neben der Wanderstrecke, die schmale, steinige Pfade und einen knackigen Anstieg auf den Pass enthält, gibt es auf dieser Tour eine besondere Herausforderung: Es gibt hier jede Menge handtellergroße, gelb-schwarze Spinnen, die ihre Netze über den Weg gespannt haben. Auch wenn die Spinnen angeblich harmlos sind kostet es uns an einigen Stellen Überwindung, knapp unter ihnen hindurch zu schlüpfen.

Am nächsten Tag, dem 21. Dezember, segeln wir weiter zur Insel San Vicente. Die Etappe ist etwa 50 Seemeilen lang und hat allerlei zu bieten: Erst Flaute, dann Starkwind und unangenehm chaotischen Seegang. Wir sind froh, als wir unser Ziel, die Marina von Mindelo, erreicht haben. Hier treffen wir einige Bekannte wieder: Ein sehr nettes Schweizer Pärchen, das wir in Porto Santo kennengelernt haben (siehe Beitrag „Don’t miss Porto Santo!“) und das nun auf seiner zweiten Atlantikrunde unterwegs ist, und die beiden jungen Hamburger, mit denen wir den offiziellen Beginn der Weihnachtszeit in Santa Cruz de La Palma gefeiert haben (siehe Beitrag Insel mit Weitblick). Diese Gemeinschaft der Langfahrtsegler, sie ist immer wieder schön, und wir freuen uns über das Wiedersehen.

Auch wenn es sich auf den warmen Kapverden seltsam anfühlt: Weihnachten steht vor der Tür. Wir möchten noch die Insel Santo Antão besuchen, die in Sichtweite von Mindelo ganz im Nordwesten des Archipels liegt, und haben uns entschlossen, dort mit der Fähre hinzufahren und über Weihnachten zu bleiben. Zwar ist es nicht ganz einfach, kurzfristig noch eine gute Unterkunft zu bekommen, doch wir werden fündig. Und so lassen wir die St‘ Raphaël am nächsten Tag in der Marina Mindelo zurück und fahren mit der Fähre nach Porto Novo auf Santo Antão. Auf der Fähre ist es voll. Ein hoher Anteil der Kapverdianer arbeitet im Ausland, und zu Weihnachten reisen viele in ihre Heimat, um mit der Familie zu feiern. In Porto Novo angekommen wimmeln wir die Anbieter von Taxis und Touren möglichst schnell ab und nehmen ein Aluguer, um entlang der steilen Nordküste an den Beginn des Paultal zu gelangen.

Unsere Unterkunft ist ein Bed & Breakfast, das etwa höher im Paultal liegt. Der Gemeinschaftsraum ist gleichzeitig das Wohnzimmer der Gastgeberfamilie, und dort treffen wir sie gemeinsam vor dem Fernseher, als wir uns abends noch zusammensetzen wollen. Wir unterhalten uns im Sprachgewirr von Englisch, Französisch und etwas Spanisch und bekommen zu später Stunde eine Kostprobe des selbsthergestellten Zuckerrohrschnapses in zwei Variationen: Als 30 Jahre gereifter Rum, der überraschend fein und weich ist, und mit Maracujasaft gemischt als Punsch, der gefährlich lecker und süß schmeckt.

Da am nächsten Tag eine Wolkendecke in den Höhen des Gebirges hängt, machen wir eine Rundwanderung im Paultal. Das Tal erscheint uns wie ein grüner Garten Eden. Jede noch so kleine Fläche wird zum landwirtschaftlichen Anbau genutzt. Alle möglichen Hangflächen sind – sicher in mühsamer Handarbeit – terrassiert, und selbst auf großen Steinen ist Erde angehäuft, um Salat oder Kräuter darauf zu ziehen. In kleinen, mit Mauern eingefassten Parzellen werden hier und da Schweine gehalten, und sogar einzelne Kühe sehen wir. Esel sind auf den steilen Wegen ein reguläres Transportmittel. 

Papaya, Maracuja, Zuckerrohr und natürlich Bananen konnten wir auch vorher schon als Pflanzen erkennen, doch auf unserer Tour lernen wir außerdem, wie Yams, Manjok und Kaffee aussehen. Wer hätte gedacht, dass die Kapverden, die sich uns zuerst als wüstenartige Inseln präsentierten (siehe Beitrag No Stress), auch so üppig grün sein können.

Zuckerrohr
Manjok
Yams
Kaffee

Der Weg führt auf einen entlegenen Grat auf etwa 800 Meter Höhe. Hier, fernab von jeder befahrenen Straße, kommen wir zu einer kleiner Ansammlung Häuser mit Unterstand, in dem tatsächlich Kaffee aus eigener Herstellung angeboten wird, frisch aufgebrüht oder auch „to go“ als küchenfertige Kaffeebohnen. Wir lassen uns gerne zu einer Pause nieder an diesem besonderen Ort, der uns das „Café am Ende der Welt“ zu sein scheint.

Für die Wanderung am nächsten Tag nehmen wir zuerst ein Aluguer nach Ribeira Grande und nach erfolgreichen Preisverhandlungen mit dem Fahrer dann ein Taxi hoch ins Gebirge, an den Rand des Cova-Kraters. Von hier aus führt die Tour 1.500 Höhenmeter abwärts, zurück ins Paultal. Es ist ein spektakulär schöner Weg, der teils auf schmalem Grat verläuft und zu beiden Seiten wunderbare Aussichten in das verzweigte Paultal bietet. Wir sind verzaubert und demütig angesichts der grandiosen Landschaft und der Mühen, die die Menschen hier zur Bewirtschaftung dieses grünen Tals auf sich nehmen. Es ist ein großartiges Geschenk, das wir uns mit dieser Wanderung heute, am 24. Dezember, machen.

Für den Abend haben wir einen Tisch in einem Restaurant reserviert. Noch nie haben wir Weihnachten fernab von der Heimat und ohne unsere Familie verbracht. Es bedeutet uns daher viel, dass mein Bruder bei uns ist, und auch für ihn ist dieses Weihnachtsfest eine neue schöne Erfahrung. Wir verbringen einen wunderbaren Abend auf einer schön dekorierten Dachterrasse unter dem Sternenhimmel mit dezenter Livemusik und lassen uns das Weihnachtsmenü und die starken Maracuja-Rum-Cocktails schmecken.

Am nächsten Tag geht es gleich morgens mit dem Taxi nach Porto Novo und mit der Fähre zurück nach Mindelo. Heute, am ersten Weihnachtsfeiertag, ist die Fähre so leer, dass die Zahl der Besatzungsmitglieder die der Gäste zu übersteigen scheint. Nachmittags erkunden wir zu dritt Mindelo. Die Innenstadt hat mit ihren farbenfrohen Häusern aus der Gründerzeit durchaus ein besonderes Flair, doch es ist heiß und nicht viel los, und nach so vielen Eindrücken von den Kapverden kommt bei uns keine rechte Begeisterung auf.

Am nächsten Morgen tritt Holger seine Rückreise an, und beim Abschied am Taxi habe ich einen Kloß im Hals. Zwei Wochen lang hat er uns auf den Kapverden begleitet, vier Inseln haben wir zusammen besucht, dabei so viel erlebt und ein besonderes Weihnachtsfest zusammen gefeiert. Vielen Dank für diese schöne Zeit!

Für Marc und mich gehen nun direkt die Vorbereitungen für die Atlantiküberquerung los, denn unser nächstes Ziel liegt in der Karibik. Vier Tage lang sind wir beschäftigt mit Riggcheck, Wartungsarbeiten, Proviantierung und vielen Kleinigkeiten. Am 30. Dezember soll es losgehen, die Wettervorhersage ist günstig. Das nächste Abenteuer kann beginnen.