Blasende Wale und fliegende Fische

Am Donnerstag, den 22. August, starten wir morgens früh um sieben Uhr von der Marina Leixões im Norden von Porto nach Porto Santo im Madeira-Archipel. Es ist unsere bisher längste Tour zu zweit: Etwa 630 Seemeilen über den Atlantik liegen vor uns, wir rechnen mit etwas über vier Tagen Reisezeit. Natürlich sind wir vor dieser langen Fahrt etwas angespannt, aber wir fühlen uns gut vorbereitet und freuen uns, dass es jetzt losgeht. Der Tag beginnt grau mit bleifarbenem Wasser, dann wird es für eine Weile sogar richtig neblig.

Um das Risiko einer Orca-Attacke so gering wie möglich zu halten (siehe Beitrag Die wollen nur spielen), wollen wir so schnell wie möglich unter Motor in tiefes Wasser kommen, wo Orcas nicht mehr jagen. Die Strecke führt daher zuerst unter Motor sechs Stunden lang nach Westen, bis wir die Abbruchkante des Kontinentalschelfs erreichen und der Meeresgrund innerhalb von fünf Seemeilen von etwa 150 m auf über 1000 m Wassertiefe abfällt. Immer wieder werden wir von Delphinen begleitet. Etwa eine halbe Stunde vor Erreichen des tiefen Wassers sehen wir querab die Fontäne eines blasenden Wales, erst einmal, dann wieder. Sind das Orcas? Dann zeigt sich kurz ein großer dunkler Walrücken mit einer verhältnismäßig kleinen, gebogene Rückenfinne, und wir sind beruhigt: Es ist kein Orca, sondern ein anderer Wal, möglicherweise ein Grindwal. Wir sind erleichtert, als wir schließlich das tiefe Wasser erreicht haben und den Kurs nach Süden ändern und die Segel setzen. *

Das Wetter klart auf und wir segeln bei Sonnenschein im tiefblauen Wasser entspannt bei etwa drei Windstärken, wunderbar für den ersten Tag. Ich habe keinerlei Anzeichen von Seekrankheit, Gott sei Dank. Schon am Vortag habe ich prophylaktisch mit der Einnahme eines Mittels gegen Schwindel begonnen. Außerdem habe ich auf der schaukeligen Fahrt unter Motor lange von Hand gesteuert und die Übungen aus dem Seminar gegen Seekrankheit gemacht. Diese Doppelstrategie scheint aufzugehen.

Die vor der Überfahrt neu installierte Technik funktioniert einwandfrei, nur ein paar Konfigurationsanpassungen nimmt Marc vor. Der neu eingebauter Autopilot lässt sich so einstellen, dass er mit minimalen Ruderbewegungen auskommt, das neue Satellitenkommunikationsgerät liefert die Daten für eine regelmäßige Standortanzeige auf unserer Homepage und lässt uns über SMS mit den in Gedanken mitreisenden Familienmitgliedern kommunizieren.

Gegen Abend lässt der Wind nach und wir starten den Motor. In der Nacht wechseln wir mehrfach zwischen Segeln und Motorfahrt ab, je nachdem, was der Wind hergibt. Bei wenig Seegang ist es eine ruhige, teils mondhelle, teils tiefschwarze Nacht. Hin und wieder weichen wir mit kleinen Kursänderungen den Frachtern aus, die hier, weit vor der Küste Portugals, in Nord-Süd-Richtung unterwegs sind.

Auch der zweite Tag bringt weniger Wind als erwartet. Wir setzen eine Zeitlang zusätzlich zu Genua und Großsegel noch den Klüver, sind aber wieder die Hälfte des Tages unter Motor unterwegs. Die See ist angenehm ruhig. Wir vertreiben uns den Tag mit Lesen, gespeicherten Podcasts und Nickerchen, um Schlaf nachzuholen. Delphine oder gar Wale sehen wir nicht mehr. Bei 5000 m Wassertiefe und so weit von der Küste entfernt ist der Ozean offenbar ein ziemlich dünn besiedelter Lebensraum. Nur ein Seevogel, der aussieht wie eine braune Möwe, umkreist uns eine Weile neugierig.

Der Samstag bringt wunderbares Segelwetter bei Sonnenschein, Wärme und immer noch angenehm ruhiger See. Wir genießen es, zumal wir wissen, dass sich gegen Abend das Wetter ändert und erheblich mehr Wind und Welle bringt.

Zur Vorbereitung auf die zumindest in einigen Wettermodellen angesagten Starkwindböen bergen wir am Abend das Großsegel. Wir wollen die Nacht über nur mit der Genua segeln, die sich auch alleine aus- und einreffen lässt. Da der Wind genau von hinten kommen soll, müssten wir bei zusätzlich gesetztem Großsegel das Vorsegel auf der Luvseite ausbaumen, und das Handling des großen Spibaums wollen wir bei den vorhergesagten Bedingungen vermeiden.

Bei Beginn meiner Wache um neun Uhr abends ist der angesagte Starkwind dann auch plötzlich da. Innerhalb kurzer Zeit nimmt der Wind von drei bis vier Beaufort auf sechs bis sieben zu. Nun wird das Leben an Bord deutlich mühsamer, denn mit dem Wind haben auch die Wellen zugenommen. Sie kommen schräg von hinten und lassen das Boot ordentlich rollen. So geht es die ganze Nacht, den ganzen folgenden Tag und auch die Nacht darauf. Das nervt und drückt vor allem bei mir die Stimmung, zumal wir langsamer als geplant vorankommen und absehbar wird, dass eine Ankunft in Porto Santo nicht mehr bei Tageslicht zu schaffen ist. Dass am Sonntag unser Hochzeitstag ist, spielt im Tagesablauf keine Rolle.

In der Nacht zum Montag zeigt sich, dass der Ozean doch nicht so unbewohnt ist, wie er scheint. Ich finde einen fliegenden Fisch im Cockpit. Auf der Flucht vor Fressfeinden retten sich diese Fische, indem sie flach aus dem Wasser springen und ein Stück darüber „fliegen“. Eine Landung auf einem Segelboot ist allerdings bei dieser Strategie nicht vorgesehen.

Am Montag Morgen nimmt dann der Wind allmählich ab und die Wellen werden länger und kleiner. Am Vormittag setzten wir das Großsegel wieder und baumen die Genua aus. Um ein Flattern des Vorsegels möglichst zu verhindern, bringen wir am Spibaum nun zusätzlich zum Toppnant, der den Baum hoch hält, auch einen Baumniederholer an, der den Baum nach unten und vorne zieht und zur Bedienung ins Cockpit umgelenkt ist. Die dafür notwendigen Utensilien hatten wir schon im Hafen vorbereitet. Den Spibaum haken wir außerdem in der laufenden Genuaschot ein statt wie bisher in der Schlaufe am Schothorn. Und siehe da: So können wir den Spibaum mit allen Leinen bei eingerollter Genua vorbereiten, und dann die Genua setzen und wieder einrollen, wie es der Wind gerade erfordert, ohne dass einer von uns auf dem Vordeck mit dem Spibaum hantieren muss. Außerdem sind wir mit beiden Segeln nicht nur schneller unterwegs, das Boot rollt auch deutlich weniger. Was für ein Fortschritt! Um diese wertvolle Lernerfahrung reicher segeln wir mit guter Laune weiter.

Wir sind nun den fünften Tag auf See und haben beide das Bedürfnis nach einer Dusche. Marc ergreift die Initiative, legt den Duschschlauch durchs Badezimmerfenster ins Cockpit und genießt dort eine Dusche. Ich ziehe natürlich nach, und danach freuen wir uns beide über dieses angenehme Gefühl von Sauberkeit und frisch gewaschenen Haaren.

Als es abends dämmert, ist Porto Santo noch nicht in Sicht. Doch ein anderes Zeichen kündigt an, dass wir uns dem Ziel nähern: Wir haben plötzlich wieder Mobilfunkempfang, schon etwa 70 km von der Küste entfernt. Nun empfangen wir die Chatnachrichten, die uns Freunde zu unserer Überfahrt geschickt haben. Wie schön, dass sie so an unserem Abenteuer Anteil nehmen!

Es ist nach drei Uhr in der Nacht, als wir das Ankerfeld vor dem Hafen von Porto Santo erreichen. Hier liegen schon eine Menge anderer Yachten, und die Suche nach einem freien Platz ist in der Dunkelheit schwierig. Doch schließlich sitzt der Anker fest – wir sind da und glücklich, es geschafft zu haben. Und trotz der Uhrzeit (oder eher Unzeit) gönnen wir uns ein Ankerbier im Cockpit, ehe wir müde und endlich wieder gemeinsam in die Koje kriechen.

Erst am nächsten Abend, nachdem wir gründlich ausgeschlafen und den ersten Tag vor Anker mit Nichtstun verbracht haben, stoßen wir auf unseren Hochzeitstag an.

* Nachtrag: Erst einige Tage später, als wir längst entspannt in Porto Santo vor Anker liegen, erfahren wir, dass es am Tag vor unserer Abfahrt abends direkt vor Porto eine Orca-Attacke auf ein Segelboot gab. Natürlich hatten wir vor der Abfahrt aktuelle Informationen zu Orca-Sichtungen und -Angriffen eingeholt, doch diese Attacke wurde offenbar erst später gemeldet. Wir hatten Glück und keine Probleme, doch hätten wir von dem Vorfall gewusst, wären wir an dem Tag nicht losgefahren.