Das dritte Crewmitglied

Es ist am 22. Juni frühmorgens, als wir den Anker in der Watermill Cove auf den Isles of Scilly aufholen. In einem langen Schlag wollen wir nach Wales oder, wenn das Wetter es erlaubt, nach Dublin durchsegeln. Den größten Teil des Tages fahren wir unter Motor, weil zu wenig Wind ist. Das war zu erwarten, doch wir nehmen es in Kauf, weil das Wetter bei den Isles of Scilly ziemlich schnell in Starkwind umschlagen soll und wir dann schon weg sein wollen. Wir halten uns westlich des Verkehrtrennungsgebiets Off Lands Ends und legen dann einen östlicheren Kurs an. Vormittags sehen wir nochmal Delphine, ansonsten ist um uns herum kaum etwas zu entdecken.

Gegen Mittag fällt der Autopilot das erste Mal aus, lässt sich jedoch gleich wieder in Betrieb nehmen. Dieser Fehler ist auch auf früheren Strecken schon hin und wieder vor gekommen, jedoch hat sich der Autopilot dann nach einer Weile immer wieder gefangen. Wir sind daher zunächst nicht beunruhigt. Weil es bis zum frühen Nachmittag hin und wieder weitere Ausfälle des Autopiloten gibt, kalibriert Marc ihn neu und schmiert die Steuerstange. Danach läuft er zunächst fehlerfrei. Abends jedoch fällt er wieder aus, etwa alle Viertelstunde.

Der Autopilot ist auf langen Strecken bei einer kleinen Crew aus zwei Personen praktisch ständig im Einsatz. Er ist quasi das dritte Crewmitglied. Da er das Steuern übernimmt, kann sich eine Person um Navigation, Logbuch, Wetter, Segeltrimm, Ausguck, Essen, Kaffee oder was auch immer kümmern, während die zweite Person ausruhen oder schlafen kann. Und auch bei Manövern wie Großsegel setzen oder reffen, die auf der St‘ Raphael am besten zu zweit durchgeführt werden, wird der Autopilot zum Kurshalten eingesetzt. Die St‘ Raphael läuft als Semi-Langkieler ohne zu steuern zwar gut geradeaus, doch ein Ausfall des Autopiloten bedeutet, dass einer von uns überwiegend mit Steuern beschäftigt ist und nur kurz etwas anderes machen kann.

Abend gegen sieben Uhr ist endlich genug Wind, um zu segeln. Bis zum späten Abend segeln wir unter Vollzeug, dann holen wir das Großsegel für die Nachtfahrt wieder ein. Die Nacht verläuft ruhig und wir wechseln uns etwa alle drei Stunden mit Schlafen ab. Zwei Tauben steigen irgendwann in der Nacht als blinde Passagiere zu und fahren mit uns bis zum nächsten Hafen mit. 

Die Ausfälle des Autopiloten kommen in immer kürzeren Abständen, und zur Wiederinbetriebnahme muss er nun auch immer komplett aus- und wieder angestellt werden. In den frühen Morgenstunden entscheiden wir, für die Reparatur des Autopiloten in Milford Haven zu stoppen.

Bei typisch walisch trübem Wetter fahren wir in die Mündung des River Cleddau ein. Bei Milford Haven gibt es eine Raffinerie, und die rote Beleuchtung von drei hohen Schornsteinen dort haben wir schon nachts von Ferne sehen können. Auch die Mündung des River Cleddau ist von der petrochemischen Industrie geprägt. Es gibt gleich zwei betonnte Einfahrten in den Fluss, dann ein breites Fahrwasser und riesige Anlegestege zum Be- und Entladen der Tanker. Erst danach wir der Fluss beschaulicher.

Um acht Uhr morgens passieren wir die Schleuse in den Hafen von Milford Haven. Dort angekommen, frühstücken wir erstmal und überlegen, wie wir die Reparatur angehen.

Der Autopilot besteht vereinfacht gesagt aus einer Mechanik mit Gestänge, um das Ruder zu bewegen, einem hydraulischen Antrieb für dieses Gestänge mit Hydraulikmotor, der Steuereinheit mit Kompass und einem Ruderlagegeber, der die aktuelle Ruderlage misst und diese Information an die Steuereinheit liefert. Wir haben den Eindruck, dass die von der Steuereinheit vorgesehene Kursänderung praktisch nicht umgesetzt werden kann. Die Mechanik mit dem Gestänge ist augenscheinlich in Ordnung. Die Elektronik scheint zu funktionieren, denn sie reargiert auf die Eingaben, versucht, sie umzusetzen, und liefert sinnvolle Fehlermeldungen. Auch die angezeigte Ruderlage stimmt, so dass auch der Ruderlagegeber anscheinend nicht das Problem ist. Wir vermuten den Fehler daher in der Hydraulikeinheit des Systems.

Eine Internetrecherche ergibt schnell, dass das Hydrauliköl einen bestimmten Füllstand haben muss. Die Fehlerbeschreibung bei Hydraulikeinheiten mit zu wenig Öl passt zu unserem Problem, und wir haben dort noch nie Öl nachgefüllt. Ersatzöl ist glücklicherweise noch an Bord, und vom Vorbesitzer haben wir eine kurze Beschreibung von der Bootsübergabe auf Video, wie und wo das Hydrauliköl nachzufüllen ist. Wir wundern uns jedoch über den Einfüllort, denn dort gibt es kein Reservoir. Der in der Bedienungsanleitung vorgesehene Stutzen am Motor liegt jedoch nicht oben im System, was eine komplette Befüllung des Systems an dieser Stelle unmöglich macht. Schließlich schrauben wir die Platte, auf der der Motor angebracht ist, für die Befüllung mit Hydrauliköl ab, und halten sie in einer höheren Position – so geht’s.

Der anschließende Test des Autopilots im Hafen verläuft positiv. Wir freuen uns und planen, am nächsten Tag unsere Tour nach Norden fortzusetzen. Der Nachmittag ist angefüllt mit Duschen und Einkaufen, und abends gönnen wir uns Fish ’n Chips.

Als wir frühmorgens auslaufen, ist die Freude über die Reparatur von kurzer Dauer. Wir sind kaum eine halbe Stunde unterwegs und noch auf dem River Cleddau, da fällt der Autopilot erneut aus. Also kehren wir direkt um und fahren wieder in den Hafen. Wir sind enttäuscht, aber eigentlich froh, dass der Fehler so bald wieder aufgetaucht ist, und nicht erst in der ruppigen See des St. George’s Channel zwischen Irland und Wales.

Als Fehlerquelle vermuten wir nun den Hydraulikmotor selbst und tippen auf einen Verschleiß der Kohlebürstchen, was nach zwanzig Jahren durchaus möglich ist. Marc macht sich also daran, den Motor zu demontien. Als Stirnseite und Gehäuse entfernt sind, sieht man auch gleich, dass sich dort einiges an Kohlestaub angesammelt hat und die ganze Federmechanik, mit der die Kohlebürstchen gegen den Rotor gedrückt werden, sehr verdreckt und schwergängig ist. Die Teile werden vorsichtig einer gründlichen Reinigung unterzogen. Die sauberen Kohlebürstchen sehen zwar gebraucht und abgeschliffen, aber noch funktionsfähig aus. Sollte der Dreck in dem Motor das Problem gewesen sein?

Wir bauen alles wieder zusammen und fahren direkt wieder durch die Schleuse aus dem Hafen, um diesmal ausreichend Zeit für eine echte Testfahrt zu haben. Und siehe da: Der Autopilot funktioniert fehlerfrei, die ganze über vier Stunden dauernde Testfahrt, unter Segel und Motor, im ruhigen Wasser und bei Seegang.

Nach dieser ausführlichen und erfolgreichen Testfahrt trauen wir uns wieder, zu einer längeren Etappe aufzubrechen. Wir fahren wieder durch die diesmal ziemlich volle Schleuse in den Hafen von Milford Haven.

Der ungeplante Aufenthalt in dem wenig reizvollen Milford Haven hat aber auch etwas Gutes: Wir haben die Gelegenheit, und mit einem befreundeten Ehepaar aus Wales zu treffen. Karin kennt die Familie von einer Städtepartnerschaft schon seit 35 Jahren und hat auf ihrer Farm auch zweimal die Schulferien verbracht. Es ist ein unerwartetes, sehr herzliches Wiedersehen nach langer Zeit. Wir zeigen unser Boot, haben aber vor allem jeweils viel zu erzählen, von den Familien, der Zeit der Pandemie und was in den letzten Jahren sonst so alles passiert ist. Leider bleibt es bei einem eher kurzen Besuch, denn kurz vor unserem Treffen ist unsere Bekannte in Milford Haven gestürzt, hat nun eine riesen Beule über dem Auge und fühlt sich allmählich so elend, dass die zwei bald wieder nach hause aufbrechen. Trotzdem war es ein sehr schönes Wiedersehen, und wir sind froh, die Gelegenheit ergriffen zu haben.

Wir breiten noch alles für einen frühen Aufbruch am nächsten Morgen vor. Dann soll es weitergehen Richtung Dublin.