Am 26. November brechen wir abends von Santa Cruz de La Palma nach La Gomera auf. Unser Ziel, die Marina von San Sebastian im Südosten der Insel, liegt etwa 60 Seemeilen entfernt. Der Passatwind ist noch nicht stabil, und wir möchten ein gerade noch geeignetes Wetterfenster nutzen, bevor auf der Etappe erst Flaute und dann tagelang Gegen- oder Starkwind herrscht. Unser Plan geht auf. Den größten Teil der Strecke segeln wir bei gemütlichen drei Beaufort, und erst zwei Stunden vor Ankunft starten wir den Motor, weil der Wind zu schwach geworden ist.
Mittags legen wir im Hafen an. Wie schon Santa Cruz de La Palma ist auch San Sebastian de La Gomera die Hauptstadt der Insel mit dem Fährhafen, an dessen Ende dann die Marina liegt. Und auch hier sind viele Langfahrtsegler im Hafen, die mit ihren Segelyachten in den nächsten Wochen über den Atlantik segeln wollen. Aber es gibt auch noch andere große Abenteurer: Von hier aus startet in etwa zwei Wochen die Toughest Row Challenge, eine Regatta mit Ruderbooten (!) über den Atlantik. Viele Teams starten zu viert, aber einige Teilnehmer sind auch allein unterwegs, unter ihnen auch ein Deutscher. Er rechnet mit einer Dauer der Überfahrt von 80 bis 90 Tagen. Wir haben größten Respekt vor dieser enormen physischen, aber sicher auch psychischen Herausforderung.
Wir haben für ein deutsches Seglerpaar, das wir auf La Palma getroffen haben, ihr Großsegel nach La Gomera mitgenommen. Es muss repariert werden, und hier gibt es einen Segelmacher. Die beiden waren froh, dass wir den Transport übernommen haben, und man hilft sich unter Seglern schließlich gegenseitig. Wir verstauen wie verabredet das Segel auf dem Boot des Segelmachers und machen uns dann auf den Weg zu einem Rundgang durch die kleine Inselhauptstadt. Während Santa Cruz de La Palma noch etwa so groß war wie Oberkirch, ist San Sebastian nur etwa so groß wie Flörsheim-Dalsheim. Im Zentrum, das nur einen kurzen Spaziergang entfernt liegt, geht es entsprechend beschaulich zu.
Zur Erkundung der Insel haben wir uns für drei Tage einen Mietwagen reserviert. Als wir damit aufbrechen, sind wir gleich fasziniert von La Gomera. Die Form der kleinen Insel ähnelt einer Zitronenpresse: Sie ist fast rund, mit der höchsten Erhebung im Zentrum und tiefen Taleinschnitten, die von der Mitte zu allen Seiten ans Meer führen. Die Landschaft ist einzigartig und oft spektakulär: Der größte Lorbeerwald der Kanaren in der Inselmitte, zuckerhutförmige Felsen aus erstarrten Vulkanschloten und tiefe, steile Täler. Es ist nun die dritte Kanareninsel, die wir besuchen, und tatsächlich hat auch diese wieder ihren ganz eigenen Charakter.
Als wir nach unserer ersten Wanderung, die bei El Cedro durch verschiedene Arten von Lorbeerwald führt, wieder im Auto sitzen und ins Valle del Rey fahren wollen, sehen wir an der Straße eine Wandererin, die uns schon auf der Tour begegnet ist. Da sie uns erzählt hatte, dass sie mit dem Bus unterwegs ist, halten wir und fragen, ob wir sie mitnehmen sollen. Sie nimmt das Angebot gerne an und entpuppt sich unterwegs als langjährige La Gomera-Reisende und echte Plaudertasche. Nach der Fahrt schwirrt uns der Kopf vor lauter Tourenvorschlägen, die sich für unsere weiteren Unternehmungen als sehr nützlich erweisen.
Das Valle del Rey auf der Westseite von La Gomera ist das touristische Zentrum der Insel, doch alles in angenehm kleinem, individuellen Rahmen. Wir essen in einem der Restaurants an der Strandpromenade und setzen uns danach zum Sonnenuntergang mit einem Bier direkt an den Strand, wo Trommler das Hippie-Flair der Insel aufleben lassen.
Am nächsten Tag erkunden wir die Ostseite der Insel. Der angeblich schönste Ort der Insel, Agulo, erscheint uns jedoch etwas leblos, was daran liegen könnte, dass Sonntag ist. Die Aussichtsplattform mit Glasboden oberhalb des Ortes liegt leider im Nebel, doch wir entdecken ein anderes lohnenswertes Ziel: Das Besucherzentrum des Naturparks Garajonay, der einen großen Teil des im Zentrum der Insel liegenden Waldes umfasst. Hier wird sehr anschaulich über Geologie, Natur und Besiedlung der Insel informiert. Wir erfahren auch, dass vor zwölf Jahren bei einem großen Waldbrand ein bedeutender Teil des ursprünglichen Lorbeerwaldes zerstört wurde. Zwar gibt es ein Aufforstungsprojekt und es wurden verschiedene Maßnahmen zum Eindämmen künftiger Waldbrände getroffen, doch durch den Klimawandel bleibt der Wald auch künftig bedroht.
Unsere Wanderung am nächsten Tag führt auch durch dieses vom Waldbrand zerstörte Gebiet des Nationalparks. Zwar ist auf der Fläche inzwischen dichtes Buschwerk nachgewachsen, doch von dem mystischen Lorbeerwald sehen wir an diesem Tag nichts. Obwohl es landschaftlich eine wunderschöne Wanderung ist, die uns auf den Garajonay, die höchste Erhebung der Insel, und den Tafelberg La Fortaleza führt, es bleibt für uns doch auch die pessimistische Vermutung, dass der Lorbeerwald letztlich dem menschengemachten Klimawandel zum Opfer fallen wird. Aufforstung und lokale Schutzmaßnahmen werden wohl vergeblich sein, wenn wir alle nicht bald durch drastische Maßnahmen den Klimawandel stoppen.
Im Hafen haben wir ein deutsches Pärchen kennen gelernt, das mit seiner Zweimastyacht schon viel herumgekommen ist und das Boot nun für einige Monate in La Gomera läßt. Wir machen gegenseitig Bootsführungen, fachsimpeln über dies und jenes und verbringen einen feuchtfröhlichen Abend miteinander. Wir sind gespannt, ob und wo wir den beiden später einmal wieder begegnen.
Am Boot stehen für uns nun die letzten Vorbereitungen für die Überfahrt zu den Kapverden an. Unter anderem ziehe ich Marc in den Mast, zur Kontrolle des Riggs und um die Salinge auf der Rückseite mit Schaumstoff abzukleben, damit das Segel nicht beim Scheuern dort beschädigt wird.
Auf dem Markt decken wir uns mit frischem Gemüse ein und ergänzen unsere Vorräte um gekühlte Lebensmittel und das, was wir seit dem Großeinkauf auf Teneriffa verbraucht haben. Den Mietwagen haben wir inzwischen nicht mehr, doch der Supermarkt bietet einen Lieferservice, mit dem wir die Einkäufe im Einkaufswagen direkt ans Boot gebracht bekommen. Sehr praktisch!
Inzwischen beobachten wir intensiv das Wetter. Es ist noch immer nicht so beständig wie in Zeiten mit ausgeprägtem Passatwind, doch wir wollen bald los, um uns auf den Kapverden mit meinem Bruder zu treffen und dort auch Weihnachten gemeinsam zu verbringen. Es zeichnet sich allmählich ab, dass am Nikolaustag ein passendes Wetterfenster für die Überfahrt beginnt. Es wird mit knapp 800 Seemeilen unsere bisher längste Etappe auf See werden.
Am Abend vor Nikolaus, als unsere Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen sind, gehen wir in San Sebastian schön zusammen essen, schlendern dann über den kleinen, aber liebevoll gestalteten Weihnachtsmarkt und checken schließlich an Bord noch einmal das Wetter. Morgen geht es los.