Am 11. Juni nehmen wir uns die Überfahrt über den Englischen Kanal erneut vor, diesmal von Cherbourg aus. Nach den Vorhersagedaten sehen die Bedingungen gut aus: Die Wellen haben sich gelegt und der Wind soll mit drei bis vier Beaufort aus Westen wehen. Damit sollten wir es innerhalb eines Tages und auf direktem Kurs nach Weymouth schaffen. Schon um viertel vor sechs morgens legen wir ab, um die vor Cherbourg starke Tidenströmung zu nutzen, damit sie uns ein Stück nach Westen trägt.
Die Bedingungen sind wie erwartet und wir kommen unter Segeln – mal mit, mal ohne Reff – gut und entspannt voran. Außerdem machen wir wie gewünscht Strecke nach Westen. Allerdings wird es schon bald so diesig, dass wir zur Unterstützung zusätzlich zum AIS das Radargerät anmachen. Und kurz darauf hören wir das erste Nebelhorn eines Schiffs in der Nähe.
Auf unserer direkten Route liegt das Verkehrstrennungsgebiet „Off Casquets“, auf dem die großen Tanker und Frachter durch den Englischen Kanal ziehen. Verkehrtrennungsgebiete sind in vielbefahrenen Bereichen wie die Autobahnen für den Schiffsverkehr, mit getrennten Fahrbahnen für die beiden Richtungen. Der Englische Kanal ist eine der am dichtesten befahrenen Schifffahrtsstrassen der Welt, und in den Verkehrtrennungs-gebieten zieht ein großes Schiff nach dem anderen durchs Wasser. Unser Plan ist die Passage des Englischen Kanals knapp östlich des Verkehrstrennungsgebietes.
Mit dem AIS (Automatic Identification System), einem funkbasierten System zur Erkennung anderer Schiffe, können wir auf unserem Kartenplotter die Position, die Geschwindigkeit und den Kurs der anderen Schiffe als Dreiecke mit Richtungspfeil sehen – sofern sie damit ausgestattet sind. Denn vorgeschrieben ist ein AIS nur für die Berufsschiffahrt, und Fischer stellen ihr AIS erfahrungsgemäß oft aus, vermutlich um den anderen nicht ihr Fanggebiet zu verraten. Wenn ein anderes Schiff kein AIS hat, kann man es im Nebel nur auf dem Radar sehen oder anhand seiner Schallsignale hören.
Wir sind froh, mit AIS, einem Radargerät und einem Radarreflektor ausgestattet zu sein, denn so besteht die beste Chance, dass man andere Schiffe erkennt und vor allem auch von ihnen erkannt wird. In dem Abschnitt, bei dem wir die Ein- bzw. Ausfahrt des Verkehrtrennungsgebiet queren, wird es zeitweise so neblig, dass wir das Gewimmel der großen Pötte zwar auf dem Monitor erkennen, aber um uns herum nur Nebel sehen und die bei Nebel abgegebenen Schallsignale der anderen Schiffe hören.
Auch wir nehmen unser einfaches, aber erstaunlich lautes „Trump“-Signalhorn (unten Bilder vom ersten Funktionstest beim Einräumen des Bootes) in Betrieb und tröten alle zwei Minuten einen langen Ton in den Nebel.
Trötend, lauschend und auf die Bildschirme schauend suchen wir uns so den Weg zwischen den großen Schiffen durch den Englischen Kanal, aufmerksam, mit großem Respekt für die Pötte um uns herum und immer einem sicherem Abstand zu ihnen. Als es einmal bei einem 750 Meter langen Schleppzug eng wird, wird die Situation per Funk geklärt: Wir erhöhen – sicherheitshalber inzwischen mit Motor fahrend – unsere Geschwindigkeit und können so vor dem Schleppzug passieren.
Wir sind froh, als wir den vielbefahrenen Bereich wieder verlassen und die Küste Cornwalls an Kontur gewinnt. In der Bucht vor dem Urlaubsort Weymouth legen wir bei ruhigem Wetter und in schöner Abendstimmung den Anker aus.