Endlich an Bord

Wir haben es geschafft, endlich. Hinter uns liegt ein anstrengendes Jahr mit einem straffen Programm, und nicht nur deshalb, weil wir bis vor einer Woche noch beruflich in zwei anspruchsvollen Stellen gefordert waren. Wir haben gekündigt, unser Haus verkauft, unseren Hausstand drastisch verkleinert, zwei Umzüge absolviert, ein Boot gekauft und sind nun dort, mit einem bis unters Dach vollbeladenen Mietwagen mit dem Teil unseres Hausstands, der mit aufs Boot soll. Mit diesem Boot wollen wir auf Reisen gehen, solange es geht und wir Spaß daran haben.

Es ist der zehnte April, wir haben eine lange Autofahrt hinter uns und die Sonne geht gerade unter, als wir am Hafen in Hellevoitsluis ankommen. Wir schaffen erstmal nur unsere Sachen für die Nacht auf Boot. Dort ist es kalt, denn das Boot ist noch eingewintert, das Frischwassersystem und die Toilette sind nicht betriebsbereit. Aber die dieselbetriebene Warmwasserheizung auf dem Boot funktioniert und wir haben einen Schlüssel für die Sanitäranlagen des Hafens – es ist also alles da, was wir brauchen. Wir sind glücklich, jetzt an Bord zu sein, und erleichtert nach der Anspannung der letzten Wochen. Und wir sind dankbar: Dankbar für das glückliche Schicksal, das uns diesen Schritt ermöglicht, dankbar für die überwältigende positive Anteilnahme und den Zuspruch von Bekannten und Kollegen und vor allem dankbar unseren Freunden und Familienangehörigen, die uns gerade in den letzten Wochen so selbstverständlich und tatkräftig geholfen haben, wann immer wir sie brauchten. Ein Hoch auf die Freundschaft!

Unser Plan ist es, in ein paar Tagen loszusegeln, wenn wir ausgepackt und die neuen Segel bekommen haben. Wir wollen dann über den englischen Kanal nach Schottland segeln. Aber schon bald merken wir, dass der Zeitplan etwas zu optimistisch war. Wir brauchen drei Tage, um Wasser und Toilette an Bord in Gang zu bringen und um die Sachen aus dem Auto an Bord zu holen, ohne dass wir dort völlig bewegungsunfähig werden – das erste Einräumen dauert nochmal so lang.

 

Und in der Zwischenzeit erkennen wir, welche Teile und Kleinigkeiten wir an unserer Austattung noch ergänzen sollten, bevor wir lossegeln, so dass wir zusätzlich mit Besorgungen und Bestellungen beschäftigt sind. Die Segel sind ein paar Tage nach unserer Ankunft an Bord fertig. Beim Anschlagen hilft uns der Vorbesitzer. Gerne nehmen wir seine Hilfe an und fragen ihn auch zwischendurch immer mal nach Details an Bord oder seinen Erfahrungen. Insgesamt dauert es knapp zwei Wochen, bis wir mit dem Boot einigermaßen startklar sind.

 

Auch das Wetter hält sich nicht ganz an unsere Pläne: Es bleibt weiterhin kalt und windig mit Sturmböen bis sieben Beaufort. Unter diesen Bedingungen wollen wir nicht unsere ersten Segeltage mit dem uns noch unbekannten Boot auf der Nordsee verbringen. Hinzu kommt, dass es im Fahrwasser vom Haringsvliet auf die Nordsee eine gefährliche Stelle gibt, die man nur bei Hochwasser passieren sollte. Und bei den aktuellen Tidenzeiten lässt sich das nicht in Einklang bringen mit den wegen eines technischen Defekts eingeschränkten Schleusenzeiten – zumindest nicht, wenn man nicht am ersten Tag auf der Nordsee gleich auf Nachtfahrt starten möchte. Wir sitzen also erstmal in Hellevoitsluis fest.

Immerhin gibt es einen sonnigen und relativ ruhigen Nachmittag, an dem wir zu einem ersten Testschlag auf dem Haringsvliet ablegen. Der Vorbesitzer kommt auf unsere Einladung hin spontan mit und gibt uns nützliche Tipps. Es fühlt sich großartig an, als wir erstmals alle Segel gesetzt haben – testweise inklusive der Kutterfock – und die St‘ Raphaël in ihrem Element ist. Ihre Schiffsbewegungen sind ruhig und gleichmäßig, und sie vermittelt uns ein Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit.

Anfangs fühlen wir uns unter Druck, weil wir nach dem straffen Zeitplan des letzten Jahres nun am Startpunkt der Reise festzusitzen scheinen. Und wir versuchen umzudenken: Wer stresst uns, wenn nicht wir selbst? Wir haben Zeit. Wir sind frei, unsere Pläne zu ändern. Und müssen niemandem Rechenschaft über unsere Tour ablegen. Und so versuchen wir uns mehr und mehr einfach auf die neue Situation einzulassen und die schönen Seiten zu genießen.

Schön ist auch, dass wir unseren ersten Besuch an Bord bekommen: Bei zwei Freunden passt ein Abstecher zu uns in einen Kurzurlaub nach Amsterdam, und sie kommen zum Frühstück vorbei.

Und wir machen neue Pläne: Auf die Nordsee hinaus zu fahren scheint uns aktuell noch zu unsicher, aber über die Kanäle Richtung Belgien, das geht. Und so wollen wir starten, zwei Wochen nach unserer Ankunft an Bord.