Goldener Herbst in Brest

Am 9. September kommen wir wieder in Brest auf unserem Boot an – oder ist es schon nach Mitternacht und damit am 10. September? Egal, jedenfalls ist es sehr spät nach dem verspäteten Flug und dem Warten vor der Tür zum Bootssteg, weil wir keinen aktuellen Zugangscode haben. Aber nun sind wir auf dem Boot, alles scheint in Ordnung, die Bilgen sind trocken, und wir gehen beruhigt schlafen. Am übernächsten Tag haben wir einen Krantermin, denn wir wollen das Boot für drei Tage aus dem Wasser holen und das Antifouling an den Stellen der Wasserlinie erneuern, an denen es sich löst. Danach planen wir über die Biscaya nach Nordspanien und weiter nach Portugal zu segeln, um im warmen Süden den Winter zu verbringen. Klingt gut. Das Kranen klappt problemlos und die Hafenmitarbeiter stellen uns auch eine Leiter und ein Arbeitspodest zur Verfügung. Mit dem Hochdruckreiniger wird als erstes der Rumpf sauber gemacht.

Als wir dann unser Unterwasserschiff genauer inspizieren, machen wir eine unangenehme Entdeckung: Es gibt Roststellen, keine großen, dafür ziemlich viele. Vor allem an Schweißnähten und an Unebenheiten sind sie zu finden, aber vereinzelt auch an ebenen Flächen, an Kanten und ganz schlimm im Bugstrahlrudertunnel. Wir sind schockiert und verärgert. Das Unterwasserschiff haben wir vor gerade mal einem halben Jahr in einem holländischen Betrieb sandstrahlen und neu beschichten lassen, um für die nächsten Jahre dort kein Problem mit Rost zu haben. Und nun das!
Jetzt müssen wir uns allerdings erstmal um die Reparatur des Antifoulings kümmern. Die drei Tage an Land sind wir vollauf beschäftigt mit dem Entfernen der losen Schichten, Schleifen, Reinigen, Abkleben, zweimal Auftragen von Primer und dann von Antifouling. Außerdem tauschen wir diverse Opferanoden, schmieren das untere Ruderlager und das Bugstrahlruderlager, reinigen ein paar sonst nur schwer zugängliche Stellen und messen Tiefgang und Echolottiefe nach.

Wir wohnen auch weiterhin auf dem Boot während es an Land steht, was den Alltag nicht angenehmer macht. Die Toilette an Bord können wir nicht nutzen, richtig spülen und uns waschen auch nicht. Wir nutzen also für all das die sanitären Einrichtungen des Hafens, doch die sind einige hundert Meter entfernt, so dass wir dafür das Fahrrad nehmen, auch nachts. Das geht alles, ist aber mühsam. Und natürlich kommen wir an und von Bord nur über eine Leiter, das nötige Arbeitsmaterial transportieren wir mit Eimer und Seilen hoch und runter. Immerhin ist das Wetter für die Arbeiten perfekt: Trocken und warm, aber nicht zu heiß. Wir werden mit allem gerade rechtzeitig in drei Tagen fertig, dann geht das Boot auch schon wieder mit dem Travellift ins Wasser.

Erst danach kommen wir dazu, uns mit dem weiteren Vorgehen bei den Roststellen zu beschäftigen. Wir nehmen Kontakt mit dem Gutachter auf, den wir vom Bootskauf kennen, schreiben den Betrieb an, der die Arbeiten am Unterwasserschiff gemacht hat und fragen Angebote bei Betrieben in Brest und Umgebung an. Das zieht sich alles hin, wir müssen nachfassen, vereinbarte Termine werden nicht eingehalten. Wir stellen außerdem fest, dass die Sprachbarriere doch unerwartet groß ist, denn unsere Ansprechpartner sprechen kein oder kaum Englisch, und unser Französisch ist ziemlich rudimentär. Wir sind zunehmend frustriert und haben das Gefühl, in der Luft zu hängen. Wann und wohin es weitergeht, ist unklar. In unserem Frust können wir uns auch nur zu wenigen Ausflügen aufraffen. Immerhin ein paar Erkundungstouren unternehmen wir, unter anderem in den nahe gelegenen botanischen Garten im Vallon du Stangalar und nach Plougastel-Daoulas.

In der Marina ist man sehr bemüht, auf unsere Nöte einzugehen, und so bekommen wir die Zusage, falls nötig auch bis zum Frühling bleiben zu können, obwohl die Liegeplätze wegen einer Erneuerung der Außenstege im Winter knapp sind.

Die ganze Zeit bleibt das Wetter überwiegend warm und sonnig, obwohl der September schon bald zu Ende ist. Morgens wird es erst spät hell, die Dunkelheit kommt abends auch schon merklich früher, und wir nutzen unseren gemütlichen Salon nun deutlich mehr als im Sommer.

Die Zeit, in der wir auf Rückmeldungen und Angebote von Betrieben warten, versuchen wir zu ein paar anderen Tätigkeiten an Bord zu nutzen. Wir räumen das bisher nur nachlässig vollgestopfte Bad der Gästekabine sinnvoll ein, erledigen ein paar Wartungsarbeiten und ergänzen unsere Ausrüstung. Auch für die Gasanlage suchen wir noch nach ein paar Teilen, um das System auf deutschen Standard umzurüsten. Als Karin eine Überwurfmutter, die sie bei der Suche als Muster gebraucht hat, wieder anschrauben will, reißt die Mutter auseinander. Nun müssen wir die Durchführung der Gasleitung von der Backskiste ins Bootsinnere ersetzen. Das zieht nach sich, dass auch die daran anschließende Kupferleitung und ein alter Absperrhahn ausgetauscht werden sollten. Die Ersatzteile für die Gasanlage bekommen wir zum Teil nur aus Deutschland, weil die deutschen Vorschriften für LPG-Anlagen an Bord strenger sind als die europäischen, und so warten wir nach der Bestellung erstmal einige Tage auf die Lieferung, dann brauchen wir zwei volle Tage, bis wir alles installiert haben und das System wieder dicht ist. Nach einer Woche kalter Küche haben wir endlich wieder einen funktionierenden Herd. 

In der Zwischenzeit haben wir von den für die Reparatur der Roststellen angefragten Betrieben in der Bretagne neben ein paar Absagen auch zwei Angebote bekommen, die jedoch unglaublich teuer und ohne Terminangabe für die Arbeiten sind. Der Betrieb in Holland, der den Refit des Unterwasserschiffs durchgeführt hat, zeigt sich willig, den Schaden in Ordnung zu bringen, und bietet dafür einen Termin Ende November an. Und so fällt schließlich die Entscheidung, nach Holland zurück zu fahren und den Winter dort irgendwo zu verbringen statt im warmen Südeuropa. Das ist einerseits wirklich schade, denn auf den Winter im Süden hatten wir uns gefreut. Andererseits ist es eine Erleichterung zu wissen, wie es weitergeht, und unsere Motivation steigt wieder.

Und dann steht ein großer Tag an: Marc wird 50! Wir genießen den Tag zu zweit, es gibt einen an Bord gebackenen Geburtstagskuchen, und wir nehmen bei sonnig warmem Wetter die neue Drohne mit ein paar Testflügen in Betrieb. Abends hat Marc virtuellen Überraschungsbesuch von Freunden. Gemeinsam stoßen wir auf das Geburtstagskind an und machen eine Online-Bootsführung. Zum Abendessen geht es in die immer gut besuchte Kneipe „La Tour Du Monde“ am Hafen, wo es leckere Moules Frites gibt und in der heute Abend ganz besonders Partystimmung herrscht, weil Frankreich das live übertragene Viertelfinalspiel der Rugby-WM gegen Italien gewinnt.

Nach vier Wochen in Brest bereiten wir uns nun auf die Abreise vor. Und darauf freuen wir uns, auch wenn es nicht in den warmen Süden geht. Das noch immer goldene Herbstwetter wollen wir für einen Besuch der Ile d’Ouessant nutzen, dann soll es Richtung Holland weitergehen.