Es ist der 27. Mai, als wir abends nach drei Wochen Unterbrechung des Bordlebens wieder nach Dieppe zu unserer St‘ Raphaël kommen. Bis auf das Fehlen einer Fendersocke scheint alles in Ordnung zu sein. Warum die Fendersocke fehlt, wird uns bald klar: Bei dem seit einiger Zeit anhaltenden kräftigen Wind aus Osten steht ordentlich Schwell im Hafen.
Ganz besonders schlimm ist die Schaukelei in den Stunden um Hochwasser herum. Dann werden die Boote an den Schwimmstegen der Marina so durchgeschaukelt, dass man die an Bord anwesenden Bootseigner – uns eingeschlossen – besorgt an Deck oder am Steg sieht, wie sie die Festmacherleinen kontrollieren, nachziehen oder verstärken. Und Karin wird bei der Schaukelei vor allem zum Abendhochwasser so flau im Magen, dass sie Reisetabletten nimmt – im Hafen! Wir verlieren am nächsten Tag noch eine weitere Fendersocke und sind froh, dass wir unser Boot vorsorglich mit neuen Festmacherleinen und Ruckdämpfern ausgestattet haben.
Wir haben unser Ende Januar gekauftes Dinghy in den Hafen von Dieppe bestellt. Der Hersteller hat eine Lieferung bis Ende Mai in Aussicht gestellt, aber eine feste Terminzusage gibt es nicht. Und so warten wir im schaukenden Hafen von Dieppe auf die Lieferung des Dinghys, beschäftigen uns unter anderem mit der Motorwartung und erkunden die Gegend.
So vergeht die Woche, aber das Dinghy kommt nicht. Auch andere Segler stecken für mehrere Tage im Hafen fest, weil der Ostwind regelmäßig Sturmstärke erreicht und ein Fortkommen nach Osten schwierig bis unmöglich ist. Daher lernt man sich auch ein bisschen kennen, spricht über Boote und Reisepläne. Wir begrüßen diesen Austausch in der Segler-Community. Und wir merken, dass wir mit unseren Erfahrungen und unserem Equipment für den Anfang gut aufgestellt sind und eher zu den vorsichtigen und sicherheitsbewussten Seglern zählen.
Trotz dieses immer angenehmen Austauschs sind wir genervt, als das Dinghy Ende Mai immer noch nicht da ist. Wir wollen weiter, über den Englischen Kanal; doch daraus wid vorerst nichts. Um dem Lagerkoller vorzubeugen, machen wir einen Tagesausflug nach Rouen.
Anfang der ersten Juniwoche bekommen wir von 3D-Ternders, dem Hersteller des Dinghys, die Information, dass es auf dem Weg zu uns sei. Und tatsächlich, am Montag Nachmittag ist es da – Hurra! Mit freundlicher Hilfe der Hafenmitarbeiter und unserer Segelnachbarn tragen wir es zum Steg. Nach einer Woche des Wartens beeilen wir uns nun, es aufzupumpen, zum Boot zu paddeln und an den Davits zu befestigen, denn für den Dienstag Morgen scheint es in der immer noch herrschenden Wetterlage mit Starkwind aus Osten ein akzeptables Wetterfenster zu geben.
Abends bekommen wir noch Besuch von einem sehr netten Paar aus den Niederlanden, das uns Tipps für eine Segelreise nach Schottland gibt. Da die beiden keinen Alkohol trinken – nur bei Whiskey scheinen sie eine Ausnahme zu machen – haben sie alkoholfreien Sekt mitgebracht. Wir haben gerade auf unser neues Dinghy angestoßen und mit der Bootsführung auf der St‘ Raphaël begonnen, da wird versehentlich die Sektflasche umgestoßen. Die Flasche bleibt heil, aber der Sekt spritzt in alle Richtungen durch das Boot. Nach einer gemeinschaftlichen Putzaktion beschließen wir, dass wir dies als die Dinghytaufe betrachten und ihm nach dem Sekt den Namen „Le Petit Béret“ geben.
Nach dem Besuch ist es spät geworden, und bevor wir Schlafen gehen, prüfen wir nochmal den Wetterbericht – und stellen fest, dass er sich nun für den nächsten Tag mit sechs Beaufort als Grundwind gegenüber der Vorhersage am Nachmittag zuvor verschlimmert hat. Damit ist für uns die Grenze für das Auslaufen überschritten. Enttäuscht beschließen wir, noch weiter in Dieppe zu bleiben.
Am Mittwoch Morgen scheint dann das nächste Mal eine Abreise aus Dieppe möglich zu sein. Wir bereiten am Dienstag Abend alles für einen langen rauhen Tag auf See vor, kochen vor, gehen früh schlafen, stehen am Mittwoch Morgen um viertel vor fünf auf – und stellen wieder fest, dass sich die Wettervorhersage verschlechtert hat. Wir verschieben also unsere Abreise wieder und legen uns wieder hin.
Am Donnerstag Abend, eineinhalb Wochen nach unserer Ankunft in Dieppe, gelingt uns dann der Aufbruch in rauher See. Endlich.