Thunfisch statt Eintopf

Am 23. September segeln wir morgens in Madeira Richtung Teneriffa los. Für die nächsten Tage ist konstanter Wind mit drei bis vier Windstärken aus Nordost angesagt, perfekte Bedingungen also für eine Überfahrt. Wie schon in den letzten Wochen ist es sonnig und warm, so dass wir uns erstmals in kurzer Hose und T-Shirt zu einer Offshore-Etappe aufmachen.

Als wir die Ilhas Desertas im Madeira-Archipel passieren, werfe ich die Angel aus. Irgendwann muss es doch mal klappen. Und tatsächlich: Ein paar Stunden später hat etwas angebissen. Es ist ein Thunfisch, hurra! Er ist zwar noch recht klein, doch dafür bin ich auch ganz dankbar, denn so bekomme ich bei dem Prozedere etwas Übung, ohne mit dem Anbordholen des Fisches zu kämpfen. Und immerhin ergibt er zwei üppige Portionen Thunfischfilet, die wir uns zum Abendessen schmecken lassen. Der Eintopf, den ich wie üblich vor langen Etappen vorgekocht habe, muss warten.

Die Nacht über herrschen beste Segelbedingungen, und wir kommen zügig voran. Am nächsten Morgen weckt mich Marc mit strahlendem Gesicht. Wir haben etwa zwei Drittel der Strecke nach Teneriffa hinter uns und nun die Ilhas Selvagens erreicht, eine kleine Inselgruppe, die zu Portugal gehört und komplett als Naturreservat unter Naturschutz steht. Außer der Mannschaft der Rangerstation auf der Hauptinsel Selvagem Grande und einem Vogelwart auf einer der kleineren Inseln lebt hier kein Mensch. Wir haben hier einen Zwischenstop von ein oder zwei Tagen geplant und dafür rechtzeitig vor dem Ablegen das erforderliche Permit eingeholt.

Wir ankern in der Bucht Enseada das Cagarras vor der Rangerstation und fahren vorsichtig den Anker ein. Der felsige Grund ist hier nur mit einer dünnen Schicht Sand bedeckt, die dem Anker nur schlecht Halt gibt. Die einzige Boje in der kleinen Ankerbucht dient dem Versorgungsschiff zum Festmachen und wurde kurz vor unserer Ankunft von einem englischen Segelboot in Beschlag genommen. Wir lassen das Dinghi zu Wasser und rudern an Land. Auch mit Permit darf man sich auf der Insel nicht frei bewegen, doch die Ranger bieten uns und der englischen Crew am späten Nachmittag eine Führung über die Insel an. Die wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Daher rudern wir nach einem Mittagsschläfchen an Bord und einem erfrischenden Bad im klaren Atlantikwasser wieder zum Anleger der Rangerstation.

Schon kurz nachdem unsere kleine Gruppe losgelaufen ist, entdecken wir Küken der Sepiasturmtaucher. Sie sind fast so groß wie ein Huhn, sitzen immer einzeln in einer Felshöhle und zeigen keine Scheu vor uns.

Auf einem schmalen Pfad geht es entlang der Küste steil den Hang hinauf, bis wir eine Art Hochplateau erreichen. Die vielfältigen Felsformation zeigen den vulkanischen Ursprung der kargen und trockenen Insel. Der höher gelegene innere Teil der Insel ist etwas stärker bewachsen. Hier gibt es verschiedene niedrige Büsche, doch keinen einzigen Baum.

Die Ranger geben immer wieder Erläuterungen zu Flora, Fauna und Schutzmaßnahmen auf der Insel und beantworten bereitwillig und freundlich unsere Fragen, auch wenn einer von den beiden kaum Englisch spricht. Unter anderem finden die Ranger für uns unter einem Stein eine endemische, nachtaktive Echse.

Auf der Insel gab es erst eine Plage durch ausgesetzte Kaninchen, dann durch Ratten. Beide waren eine ernste Bedrohung für die heimische Tier- und Pflanzenwelt, so dass man sie aus Naturschutzgründen bekämpfte. Damit waren sie glücklicherweise erfolgreich, so dass die Insel nun wieder frei von Nagetieren ist und sich die heimischen und vielfach endemischen Arten allmählich erholen können.

Wir drehen eine Runde über das Hochplateau, zum Gedenkstein des Naturreservats und zum Hubschrauberlandeplatz, dann geht es wieder hinunter zur Rangerstation

In der Abenddämmerung legt das englische Segelboot ab, so dass wir Gelegenheit haben, von unserem Ankerplatz an die Boje umzulegen. Auch das dritte Segelboot, eine Norwegerin mit spanischem Skipper, fährt wieder ab, weil der Ankergrund zu unsicher erscheint. So sind wir abends wider Erwarten ganz allein in der Bucht. 

Es ist eine wunderbare Abendstimmung an diesem völlig abgelegenen, einsamen Fleckchen Erde im Meer, weitab von der nächsten Siedlung. Über uns hören wir die ulkigen Rufe der Sturmtaucher, die etwa so klingen wie R2-D2, der versucht, eine Ente zu imitieren. Die Vögel kommen abends und nachts zur Fütterung der Küken zur Insel, und nun scheint die ganze Bucht voll von ihnen zu sein

Den nächsten Tag bleiben wir noch in der Enseada das Carragas. Marc nutzt erstmals unsere Tauchausrüstung und macht sich daran, mit einem Kunststoffspachtel den Biofilm vom Rumpf zu entfernen. Diese Arbeit steht auf Langfahrt hin und wieder an, stellt sich aber trotz tadellos funktionierendem Equipment – die Luft wird von einer schwimmenden Kompressoreinheit bei Bedarf durch einen Schlauch zur Tauchmaske geführt – als langwierig heraus. Während Marc am Rumpf herum spachtelt, wird er von einem neugierigen Fisch umkreist, der so frech ist, dass Marc ihn mit einem Klaps aufs Maul auf Abstand halten muss.

Am Nachmittag machen wir uns mit dem Dinghi nochmal auf den Weg zur Rangerstation, um nach einem aktuellen Wetterbericht zu fragen. Diesmal rudere ich; Marc hat das die ersten beiden Male übernommen, und nun bin ich mal an der Reihe. Das klappt auch alles gut, bis wir die Anlegestelle erreicht haben. Dort stößt das Dinghi aber für mich überraschend so plötzlich an die Rampe, dass ich rückwärts vom Sitzbrett ins Dinghi und mit meinem Rumpf seitlich auf die Metallkante des Tankkastens falle. Aua. Bei dieser Aktion wird wohl eine Rippe geprellt oder angeknackst, so dass ich noch einige Wochen lang von Schmerzen in der Seite geplagt sein werde.

Auf der Rangerstation hat der Fortschritt soweit Einzug gehalten, dass die Mannschaft dort eine Internetverbindung über Starlink hat. Bereitwillig führt uns ein Ranger an den Computer und lässt und auf Windy nach dem Wetter schauen. Es bleibt stabil mit Wind aus Nordost, die Stärke soll am nächsten Tag auf etwa drei Beaufort abnehmen. Angesichts der Vorhersage fragen wir, ob wir wohl noch eine Nacht an der Boje bleiben dürfen, und bekommen die Erlaubnis dazu. Und so bleiben wir noch in der Bucht und genießen diesen sehr besonderen Ort.

Erst am Nachmittag des nächsten Tages setzen wir wieder die Segel und machen uns auf die Weiterreise nach Teneriffa. Der Wind ist etwas schwach für die St‘ Raphaël, doch diesmal stören wir uns nicht daran, dass wir nur langsam vorankommen. Wir haben Zeit. Mit der Nacht zieht ein grandioser Sternenhimmel mit der Milchstraße auf, bevor der Mond aufgeht und den Himmel erhellt.

Am Vormittag können wir die Umrisse von Teneriffa am Horizont erkennen, doch erst nachmittags haben wir die Insel erreicht. Wir steuern die Bucht Ensenada de Antequera an, eine praktisch unbebaute Bucht mit einem kleinen Strand aus schwarzem Sand unter hohen Felsen. Hier wollen wir die letzte Nacht verbringen vor Anker genießen, obwohl uns schon zwei Tage zuvor das Frischwasser aus dem Tank ausgegangen ist. Wir haben uns vor der Abfahrt einfach im Tag geirrt, an dem wir unseren Tank gefüllt hatten, so dass wir dachten, es würde noch länger reichen. Aber Trinkwasser haben wir genug an Bord, und die Unbequemlichkeit eines leeren Wassertanks nehmen wir in Kauf, um noch eine Nacht vor Anker verbringen zu können.

Am nächsten Tag schlafen wir gemütlich aus und verbringen einen gechillten Tag vor Anker mit Baden und Lesen. Erst am Nachmittag fahren wir in die nahe gelegene Marina Tenerife, wo wir in den nächsten zwei Tagen das Boot und uns auf unseren dreiwöchigen Besuch in Deutschland vorbereiten.

Wir sind stolz, unser Boot nun bis auf die kanarischen Inseln gesegelt zu haben. Für die langen Seepassagen zu zweit haben wir inzwischen Erfahrung und Sicherheit gewonnen, und so sehr wir uns auch auf ein Wiedersehen mit Familie und Freunden freuen, das Bootsleben im Warmen haben wir seit unserer Abreise aus Porto liebgewonnen. Nun geht es erstmal zurück in den kalten Oktober Deutschlands, doch wir freuen uns schon auf unsere Rückkehr an Bord.